Wieso, weshalb und wozu: Gemeinwohl-orientierte Innovation

Bildquelle: Pixabay

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Wie kürzlich bereits an anderer Stelle geschrieben: Aus der Vergangenheit zu lernen ist bislang nicht die allergrößte Stärke der Menschheit gewesen. Wenn dabei – aus der Not geboren oder gerne auch ganz freiwillig – etwas Neues, etwas Gutes, etwas Besseres entsteht, das sich dauerhaft durchsetzt, darf man von einer echten Innovation sprechen. Und für mehr Gemeinwohl kann unsere Gesellschaft noch einiges mehr davon vertragen.

MUT ZUR VISION MIT EINER PORTION WHY

New Work ist gar nicht neu. Den Begriff gibt es dank Frithjof Bergmann bereits seit Mitte der 1980er Jahre [5]. Dabei ging und geht es dem Sozialpsychologen gar nicht ausschließlich um Themen des Arbeitsplatzes [1]. Vielmehr hatte sich Bergmann darunter insgesamt ein neues Miteinander vorgestellt: Wie wir als Gesellschaft anders, nämlich besser, miteinander umgehen und auf Augenhöhe kooperieren können. Dies ist eine sehr große Frage, zu der es keinesfalls die eine (einzige) Antwort gibt. Und es soll daher hier auch gar nicht der Versuch sein, den heiligen Gral oder gar das perfekte Allheilmittel zu benennen. Vielmehr sind die nachfolgenden Antworten auf Fragen von Viktoria Grzymek (Projektmanagerin für „Ethik der Algorithmen“ bei der Bertelsmann-Stiftung) ganz subjektive Betrachtungen des Autors.

Viktoria Grzymek: Wie definierst Du „Innovation“?

Andreas Steffen: Dabei greife ich auf einen früheren Text zurück, der damit beginnt, dass es zunächst den Bedarf für eine Intervention gibt. Also die Notwendigkeit, „etwas“ – und das kann ganz Vieles und sehr unterschiedlich sein – anders zu machen als bisher. Wenn alles bereits super läuft, muss man ja gar nichts ändern. Doch vielleicht kommt eines Tages jemand auf die Idee, dass es nicht so gut läuft, wie es möglich wäre. Oder nötig. Und sagt dann: „Stopp!“ Nach solch einer Intervention (vom lateinischen intervenire für „eingreifen“ oder „dazwischentreten“) folgt zuerst die Invention (lat. für „Erfindung“). Es wird also zunächst eine neue Idee entwickelt, auf deren Basis das Ziel der Veränderung definiert wird. Und erst dann, wenn diese Idee erfolgreich etabliert werden und sich in der Praxis durchsetzen konnte, spricht man von einer Innovation [1]. Es kann sich dabei um die geringfügige Neujustierung eines bestimmten Parameters des eigenen Verhaltens handeln oder um eine sogenannte radikale oder disruptive Innovation, bei der komplett neue Prozesse eingeführt werden. Nicht immer muss man das Alte vollends auf den Kopf stellen, davon sind Menschen oftmals ziemlich überfordert. Gleichzeitig gibt es Bereiche, in denen klitzekleine Veränderungen nicht sinnvoll, nicht ausreichend sind, sondern ein deutlicher „Change“ erforderlich ist.

Wie definierst Du „Gemeinwohl-orientierte Innovation“?

Dazu ist es naheliegend, sich zunächst den ersten Wortteil anzuschauen: Was genau heißt eigentlich „Gemeinwohl“? Das spielt dann auch in die Antwortmöglichkeiten zur Frage hinein, wann und wo vielleicht bereits eine kleine Innovation schon ganz viel bringt – oder ob nur mit einem gravierenden Kurswechsel, also einer wirklich radikalen Veränderung, der Weg zum Gemeinwohl hergestellt werden kann.

Wenn man nun nachschauen und verstehen will, was dieses Ding namens „Gemeinwohl“ denn ist, dann kann einem schon etwas schwindlig werden durch das Eintauchen in teils sehr theoretische Aspekte, die aus Sozialwissenschaften, Philosophie, Politik und auch Rechtsprechung stammen. Um es halbwegs handfest zu machen: Ich mag zwei Aussagen, die mit einem Herrn namens Aristoteles in Verbindung gebracht werden können, der noch etwas älter als Frithjof Bergmann ist. „Der Einzelne kann sein Glück nicht durch ein nur privates Leben und durch eine nur private Bedürfnisbefriedigung erreichen. Glück erreicht der Bürger nur, indem er sich für das Allgemeine engagiert.“ Und als Ergänzung und Voraussetzung: „Dazu bedarf es der politischen (staatlichen) Ermöglichung und Sicherung öffentlicher Mitwirkung und Erkenntnisgewinnung.“

Wie schätzt Du den aktuellen Stand von Gemeinwohl-orientierter Innovation in Deutschland ein?

Hier würde ich mich gerne vor der Antwort drücken. Denn ich habe keinerlei empirische Daten dazu – und kann es daher wirklich nur ganz subjektiv aus meiner rein persönlichen Wahrnehmung heraus beantworten. Zunächst in knappen Worten: „Nicht ganz schlecht, aber da geht noch sehr viel mehr.“

Um dann doch eine Antwort zu wagen, schaue ich mir eine persönliche Erfahrung namens „Basketball Aid“ an, das ist ein gemeinnütziger Verein, den wir 2007 gegründet hatten, um mit Basketball-Aktionen Geld für krebskranke Kinder zu sammeln. Ich fand und finde es schon ziemlich traurig, dass man in einem Land wie Deutschland auf ehrenamtliches Spendensammeln angewiesen ist, um diesen Kindern und ihren Familien in solch einer lebensbedrohlichen Lage helfen zu müssen. Das Gründen und Etablieren einer solchen Hilfsorganisation lässt sich als Gemeinwohl-orientierte Innovation betrachten – selbst wenn davon nicht jeder Mensch einen Nutzen erhält, was im Fall von Krebs zum Glück auch nicht für Jede und Jeden erforderlich ist.

Dann kann man total viel über limitierte Aufmerksamkeitsspannen und die hochgradige Smartphonesucht der Generationen YouTube und TikTok schimpfen – und gleichzeitig feststellen, dass es hierzulande parallel ebenfalls „die Generation Greta“ gibt, die für wichtige Themen mutig auf die Straße geht. Junge Menschen, denen Sinnhaftigkeit wichtiger ist als der Gehaltsscheck oder ein schicker Titel auf der Visitenkarte. Höchstwahrscheinlich hat es in der Menschheitsgeschichte noch nie eine Generation gegeben, die nicht über die nachfolgende geschimpft hat. Allerdings habe ich den Eindruck, dass „die jungschen Leute“ heutzutage eine Menge verstanden und den Begriff des Gemeinwohls tiefer verinnerlicht haben als viele der älteren Menschen vor ihnen. Das gibt mir viel Hoffnung.

Von einer Metaebene aus betrachtet wäre es schön, wenn „Open Innovation“ nicht nur ein charmant klingendes Schlagwort wäre, sondern im Sinne von mehr Gemeinwohl noch deutlich stärker von der Theorie in die Praxis gebracht wird, als es bisher der Fall ist. Dabei spielt das „Why?“ eine große Rolle: Wenn mehr handfeste, für Unternehmen wie gleichermaßen Bürgerinnen und Bürger, ebenso für Politik und öffentliche Verwaltung, greifbare, positive Visionen entwickelt werden – oder neudeutsch: Narrative –, dann würde noch mehr Beteiligten bewusst- und klarwerden, warum (rückblickend) und wozu (vorausschauend) man bestimmte Änderungen dringend braucht. Denn erst dann ist „man“ auch umso eher bereit, das eigene Wohl, das laute Ego, ein kleines Bisschen in den Hintergrund zu rücken, um das Gemeinwohl mittels Innovationen zu stärken.

Diese echten Visionen fehlen mir an vielen Stellen. Und ich würde gerne unserem Altkanzler Schmidt rückwirkend widersprechen: Wer keine Visionen hat, sollte zum Arzt gehen. (Oder gerne auch zum Coach.) Wenn der Sinn einer Veränderung nicht klar benannt und nicht positiv besetzt ist, hat wohl kaum jemand wirklich Lust darauf. Es geht keineswegs um „eine Märchenstunde“, sondern um erstrebenswerte, inspirierende Zukunftsbilder, wie wir alle miteinander arbeiten, leben, umgehen wollen. Da können wir in Deutschland noch einiges am Storytelling verbessern, das würde dann als Antriebsstoff der Innovationskraft und Umsetzung deutlich helfen.

Was sind mögliche Gründe für die aktuelle Situation? Was sind erschwerende bzw. begünstigende Faktoren und Rahmenbedingungen? Wobei hapert es? Mögliche Faktoren können (a) finanzielle Förderung, (b) Kompetenzen (im Sinne von Fähigkeiten), (c) Zuständigkeiten (im Sinne von Institutionen und Organisationen) oder (d) Akteure und deren Vernetzung sein.

Es wäre jetzt leicht, zu leicht und wohl auch zu kurzsichtig, nur nach mehr finanzieller Förderung zu rufen. Natürlich schadet sie nicht – wenn sie dort eingesetzt wird, wo wirklich entsprechender Nutzen geschaffen werden kann. Hier könnte und dürfte man auf die Idee kommen, den Staat, die Politik deutlich mehr in die Verantwortung zu nehmen. Allerdings halte ich es für wichtig, dass ebenso die Bevölkerung, also Bürgerinnen und Bürger, ebenso Unternehmen als „Corporate Citizens“, dazu animiert werden. Es ist nach meiner Erfahrung keinesfalls immer nur eine Frage des Geldes, gute Ideen können manchmal „auch ohne Kohle“ entstehen. Sie sollten allerdings auf offene Ohren, Köpfe und Herzen treffen. Dazu gelten die ganz klassischen Feedback-Regeln, die man aus Workshops und Brainstormings kennt: Erstmal alle Ideen und Vorschläge zulassen, auch vermeintlich verrückte Gedanken, bitte nicht sofort den mit fiesen Killerphrasen wie „Das haben wir noch nie so gemacht!“ oder anderen einschränkenden Glaubenssätzen bewaffneten Kritiker (m/w/d) herauslassen.

Dabei bin ich immer wieder etwas geteilter Meinung (und manchmal dezent unglücklich) über die Rolle der Wissenschaft und Forschung – selbst wenn das jetzt sehr verallgemeinert klingt. Als ich anfing, in diese Bereiche durch meine früheren Tätigkeiten mehr Einblick zu erhalten, habe ich mich an einigen Stellen massiv gewundert: „Wie? Ihr werdet gar nicht danach bemessen, ob Ihr wirkliche Veränderung hervorbringt, echten Impact erzeugt?!“ Demgegenüber steht jedoch die absolut sinnvolle Freiheit der Forschung. Dazu kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass ich hierbei ebenso Bürgerinnen und Bürger etwas mehr in die Pflicht nehmen möchte. Denn wenn ich mit meinen Steuergeldern Forschungsvorhaben mitfinanziere, dann könnte – besser: sollte – ich ein gewisses Interesse daran haben, was am Ende dabei herauskommt. Allerdings ist das wiederum nicht leicht. Viele Studien und Projektergebnisse der Wissenschaft sind dermaßen komplex und parallel so kompliziert formuliert, dass selbst andere Forscherinnen und Forscher sie manchmal kaum verstehen. Gleichzeitig kenne ich durchaus eine Menge Wissenschaftsmenschen, die richtig Lust darauf haben, dass ihre Erkenntnisse auch von Otto- und Hannelore-Normalverbraucher verstanden werden. Damit nämlich als messbarer Impact dann Inventionen und echte Innovationen daraus entstehen können.

Über all die von Dir angesprochenen Faktoren – von Fördermitteln über neue Kompetenzen und Zuständigkeiten bis zur stärkeren Vernetzung von Akteuren – würde ich ein Fragezeichen setzen. Nämlich das hinter dem Wort „Why?“, wie man es im Golden Circle von Simon Sinek findet. „Wozu tun wir eigentlich, was wir tun?“ Und gleich dahinter: „Nützt es dem Gemeinwohl?“ Erst dann sollte man sich ins Wie (How) und Was (What) begeben. Sich fragen, welche Fördermittel erforderlich sind, welche Skills, welches Know-how notwendig ist und wer mit wem vernetzt werden sollte. Doch dieser strategische Blick, der auch immer eine Portion „Mut zur Vision“ enthalten sollte, der fehlt ganz oft. Auf ganz vielen Ebenen.

Was wird benötigt, um Gemeinwohl-orientierte Innovationen systemisch voranzutreiben und sie aus einer Ökosystem-Perspektive zu betrachten? Welche Strukturen und Maßnahmen braucht es?

Die schnelle erste Antwort geht zurück auf die Idee von „from ego to eco“ [2]. Es hilft tatsächlich sehr, wenn noch einige Menschen mehr als bisher lernen würden, dass das eigene Ego zwar sehr laut schreien kann, es aber nur wenig hilfreich für eine Gemeinschaft ist, wenn man ihm zu viel Beachtung schenkt und sich ausschließlich, mit ausgefahrenen Ellenbogen, davon leiten lässt.

Ganz oft erleben Menschen, gerade wenn sie zu denjenigen gehören, denen „mehr Gemeinwohl“ persönlich eine Entlastung oder soziale Verbesserung bringen würde, gar nicht mehr richtig, dass sie selbst wirklich noch ein relevanter Teil der Gemeinschaft sind. Viele fühlen sich abgehängt, sind es oftmals. Und sie sehen – wenn sie es wollten – häufig kaum eine Chance, auch nur irgendetwas für eine Form der Verbesserung beizutragen.

Dabei denke ich gerne an die beiden japanischen Prinzipien Kanban und Kaizen, die noch etwas älter als „New Work“ sind und aus den 1950er Jahren stammen [4]. Darin finden sich viele Grundlagen, die heute in agilen Methoden, von Design Thinking bis Scrum, zum Einsatz kommen. Es sind fast schon Philosophien, die einerseits den Gedanken enthalten, dass man sich ein Leben lang entwickeln kann – als Mensch wie als Gemeinschaft. Und sie können dabei helfen, auch jenseits von Produktionsstraßen in Fabriken und klassischen Wertschöpfungsprozessen in Unternehmen, dass alle Beteiligten sehen und erkennen, wie sie selbst einen Beitrag zum Gesamten leisten. Auch wenn dieser Wertschöpfungsbeitrag vielleicht nur ganz klein ist: Er ist wichtig. Und das gilt genauso für die Menschen, die ihn erbringen. Das allein ist schon eine Gemeinwohl-orientierte Innovation: Wenn Jung und Alt, Klein und Groß erkennen, dass sie ein wertvoller Teil der Gesellschaft und Gemeinschaft sind. Nicht jeder Mensch wächst mit diesem Verständnis auf, ganz viele haben das Gefühl „ich bin ja gar nichts wert“ von Kindesbeinen an mitbekommen, von Eltern, in der Schule, später bei der Arbeit. Und ich halte es für einen der wichtigsten „Hebel“, dass Menschen dieses Verständnis, dieses im wahrsten Sinne Selbstbewusstsein bekommen oder wiederbekommen: „Ich bin ein wertvoller Teil der Gesellschaft.“

So etwas wird heutzutage wohl kaum jemandem durch den Kopf gehen, wenn sie oder er auf die Steuererklärung schaut. Denn per Definition könnte sich ja „eigentlich“ jeder steuerzahlende Mensch entspannt zurücklehnen und sagen: „Hey, genau das ist doch mein Beitrag zum Gemeinwohl!“ Gleichzeitig gibt es aus sehr unterschiedlichen Gründen nur wenig Transparenz, welche sozialen Themen, welche Formen von Gemeinwohl mit den Steuern wirklich erzeugt und gefördert werden. Und falls es diese Transparenz punktuell gibt, existieren leider sehr viele Bereiche, in denen das weder effektiv noch effizient geschieht. Hier könnte ich jetzt der Versuchung erliegen, noch zig Beispiele zu nennen, in denen etwas mit Steuermitteln Finanziertes nicht rund läuft. Aber dadurch kommt man wohl viel zu schnell in depressive Zustände – und die wiederum sind keine allzu hilfreiche Basis für positive Veränderung. 

Steve de Shazer, der Begründer der lösungsorientierten Kurzzeittherapie, hat es treffend auf den Punkt gebracht: „Problem talk creates problems, solution talk creates solutions.“ [2] Sich immer nur über Probleme zu unterhalten, erzeugt meist nur weitere Probleme. Sich über Lösungen zu unterhalten, schafft jedoch die Basis für neue Lösungen. Es ist unsere eigene Entscheidung, worauf wir unseren Fokus legen. Dazu nehme ich an dieser Stelle mal ganz globalgalaktisch sowohl jeden einzelnen Menschen als auch Politik und insbesondere die Medien in die Pflicht. 

Dabei geht es nicht darum, sich ständig eine rosarote Brille aufzusetzen und alles schönzureden. Es ist an sehr vielen Stellen ebenso sinnvoll wie erforderlich, den berühmten Finger in die Wunde zu legen. Aber man darf ebenfalls zwischendurch diejenigen Dinge erkennen und hervorheben – und sich gerne längerfristig daran erinnern –, die sich bereits zum Besseren geändert haben. Dass beispielsweise während der Zeit des massiven Zustroms von geflüchteten Menschen Politik und Verwaltung „plötzlich“ ein paar der früheren bürokratischen Hürden beiseite geräumt haben. Dass jetzt in der Corona-Krise „auf einmal“ Homeoffice möglich wurde – was in vielen Unternehmen oder im Schulwesen vorher „auf gar keinen Fall!“ erlaubt wurde. Oder man schaue zurück auf Fukushima, als fast von einem Tag auf den nächsten ein gravierender Richtungswechsel in der Atompolitik stattgefunden hat, den vorher kaum jemand für möglich gehalten hätte.

Dabei würde ich mir allerdings sehr wünschen, dass es nicht immer erst Katastrophen und Krisen braucht, bis Menschen, Organisationen und Systeme sich zu einem Richtungswechsel entschließen, von dem das Gemeinwohl profitiert. Hierbei wäre es übrigens sehr spannend, wie genau und anhand welcher Parameter man „Gemeinwohl“ messen kann. Ein „Glücksindex“? Eine Zahl für Zufriedenheit?

Wer sollte handeln und wie – d.h. welche (politischen) Akteure, auf welcher Ebene (europäisch, national, kommunal etc.)?

Eigentlich müsste man die Frage umdrehen: Wer sollte nicht handeln? Denn da gibt es so gut wie nix und niemanden, der mir dazu einfällt. „Think global, act local“ halte ich für wichtig. Dass man also große Themen wie Klimawandel, Armut, Hunger und Gleichstellung strategisch im Blick hat und dazu die vorhin genannten positiven Zukunftsbilder entwickelt. Und gleichzeitig „via Grassroots“ dabei den einzelnen Menschen involviert und ihn/sie gerne als Teil der Gesellschaft ein bisschen in die Pflicht nimmt. Bei der dafür wünschenswerten Partizipation gilt wie so oft: „It takes two to tango“. Es reicht nicht, nach der Möglichkeit zur Beteiligung und Mitbestimmung laut zu rufen – man sollte sie dann auch wahrnehmen.

Dazu halte ich die ebenfalls schon angesprochene Transparenz für immens wichtig: Wenn ich als Bürger das Gefühl habe: „Die machen schon einen ganz ordentlichen Job, die nutzen meine Steuergelder zu großen Teilen für sinnvolle Maßnahmen, aber es gibt außerdem Bereiche, in denen ich als Bürger helfen kann und helfen sollte“ – dann bin ich dazu noch mehr bereit als bisher. Solch einen Status scheinen einige andere Nationen besser verstanden und realisiert zu haben als die Regierung hierzulande. Auch wenn das auf den ersten Blick nicht direkt ins Innovations-Thema hineinspielt: Es würde ebenfalls nicht schaden, wenn gerade die von Dir angesprochenen politischen Akteure ihre Abläufe und gelegentlich durchaus vorhandenen Einschränkungen, Hürden und Herausforderungen besser erklären würden. Dadurch würden sie ihre Position als „Diener des Volkes“ vielleicht auch transparenter und authentischer gegenüber ihrer Zielgruppe namens Gesellschaft erkennbar machen. Und dann wäre möglicherweise die Bereitschaft zum Helfen und Unterstützen in der Bevölkerung noch etwas größer.

„Menschen wehren sich nicht gegen Veränderung, sie wehren sich dagegen verändert zu werden.“ Das hat mal Peter Senge gesagt, der den Begriff der lernenden Organisation mitgeprägt hat. Und es gilt bei weitem nicht nur für Unternehmen, dass die Menschen selten positiv reagieren, wenn ihnen „von oben“ eine Veränderung verordnet wird. Das sollte man berücksichtigen. Und es umdrehen und konstruktiv nutzen. Gerade dann, wenn es um das Gemeinwohl geht. „Die Betroffenen zu Beteiligten machen“ – das ist eine alte Weisheit aus Change-Projekten, die so ein bisschen abgegessen klingt, aber trotzdem oft vergessen wird. Miteinander reden und den Menschen wirklich aufmerksam, offen und ehrlich zuhören: Auch das ist meist leichter gesagt, als es in der Realität zu beobachten ist.

Bei den von Dir genannten Akteuren gilt das sowohl untereinander als auch in Bezug auf deren Zielgruppen, also die Gesellschaft und deren verschiedenste Untergruppen. Selbst wenn es „Teil des Spiels“ in der Politik ist, dass es an vielen Stellen um Macht geht, sollten das Machen und insbesondere das Neu- und Bessermachen nicht zu kurz kommen. Dafür darf man manche Akteure gerne immer mal wieder freundlich daran erinnern, dass ihre Aufgabe darin besteht, der Gesellschaft zu dienen. Und denjenigen, die das längst verstanden, es gleichzeitig nicht irgendwo auf dem Weg vergessen haben und vieles wirklich neu und besser machen möchten, sollten etwas weniger bürokratische Steine in den Weg gelegt werden, als es vielerorts durch Gesetze und Vorgaben der Fall ist, die gestern durchaus sinnvoll waren – es aber heute oft nicht mehr sind.

Um ein konkretes Beispiel zu geben: Für Start-ups sind die Vergabeprozesse der öffentlichen Verwaltung oft ein Grauen. Häufig können sie viele der geforderten Voraussetzungen gar nicht erfüllen, weil sie nicht schon seit Ewigkeiten existieren, außerdem ist manchmal schon die Beteiligung an einer öffentlichen Ausschreibung eine „Do or die-Entscheidung“, da solch ein Prozess ein kleines Unternehmen über Wochen oder Monate lahmlegen kann. Andererseits kann man, kann ich, auch verstehen, dass die Behörden – unter anderem gegenüber uns Steuerzahlern – eine gewisse Sicherheit brauchen, dass solch ein Unternehmen übermorgen noch existiert. Aber allein solche Rahmenbedingungen sind einerseits nur wenig transparent, andererseits beruhen viele davon noch auf Betrachtungen des 19. Jahrhunderts und könnten heute weitaus innovationsfreundlicher gestaltet werden.

Wer sind die zentralen Akteure im Bereich Gemeinwohl-orientierter Innovation, mit denen wir sprechen sollten?

Bürgerinnen und Bürger, ebenso Unternehmen. Sowohl diejenigen, die den Bedarf für Gemeinwohl-orientierte, soziale Innovationen deutlich selbst am eigenen Leib verspüren, als auch diejenigen, die keinen massiven Veränderungsdruck bemerken. Jung und Alt zusammenbringen, Experten*innen und vermeintliche Laien, und bitte keinesfalls ausschließlich nur „Rebellen“, die etwas „bekämpfen“ wollen, aber eben – auch – genau solche. Mediatoren, die zwischen „alles muss sich ändern“ und „alles soll so bleiben, wie es ist“ vermitteln. Ganz egal, ob man diese Menschen dann Coaches, Facilitators, Moderatoren oder eben Mediatoren nennt.

Dabei darf sich – zumindest wäre das meine Vision, mein Wunsch – wirklich jeder Mensch als sogenannter Intrapreneur verstehen [3]. Nicht innerhalb eines Unternehmens, sondern als wertvoller und gleichermaßen wertschöpfender Teil der Gesellschaft. Nicht jede Frau und jeder Mann ist dazu geboren, andauernd neue Ideen auszuspucken. Aber es gibt weitaus mehr davon, als man glaubt. Und dafür wiederum müssten Papa und Mama Staat noch mehr Möglichkeiten „zum Mitspielen“, also zum Denken, Vorschlagen, ebenso zum Spinnen und Träumen, schaffen. Und dann bitte auch zuhören, was dort gesagt wird.

Die zentralen Akteure kann ich definitiv nicht benennen, weil ich nicht allwissend bin und dabei garantiert tausend wichtige Personen und Organisationen vergessen würde. Und ich glaube nur sehr bedingt daran, dass man dafür eine Art „Rat der Weisen“ etablieren sollte, vielmehr würde ich jeden Menschen freundlich in die Pflicht nehmen. Ihr oder ihm dazu auch bewusstmachen, dass wirklich jeder Mensch etwas zum Gemeinwohl beitragen kann.

Mir fällt sofort jemand wie Raul Krauthausen ein, der mit dem Verein „Sozialhelden“ richtig viel bewegt. Oder die vielen großartigen Menschen von der Organisation On Purpose, die ich ehrenamtlich coache und bei denen viele sinnstiftende und nachhaltig agierende Unternehmen versammelt sind. Plattformen wie change.org gehören ganz sicher ebenfalls dazu. Von solchen vorbildlichen Beispielen gibt es noch sehr viele mehr, die ich gar nicht alle aufzählen kann.

„Jeder kleine positive Wandel in uns selbst, an unserem Verhalten, beim Umgang mit uns selbst, bei unserem Blick auf uns selbst, auf unsere Mitmenschen und die Welt hat eine Wirkung auf all diese uns umgebenden Systeme. Umso konstruktiver, wenn wir dabei auf Augenhöhe agieren und auch akzeptieren, dass andere Menschen anders sind als wir selbst.“ [6] Wenn dieses systemische Verständnis wirklich überall ankommen würde, braucht es vielleicht viel weniger „zentrale Akteure“, dann würde oben wie unten, links wie rechts, in Politik und Verwaltung wie in allen Ecken der Gesellschaft mehr Gemeinwohl entstehen können. Das darf jetzt gerne etwas naiv und verträumt klingen, denn diese beiden Eigenschaften können durchaus hilfreich sein, um innovativ zu werden. Und wenn es dann noch gelingt, dass die Entwicklung von Innovationen, das Lernen aus der Vergangenheit [5], Spaß macht, dass richtig viele Menschen darauf Lust haben – Jackpot.

 

In den Antworten enthalten sind Auszüge aus verschiedenen meiner Publikationen, darunter: [1] „Menschen und Organisationen im Wandel“ (Springer, 2019), [2] „Impulse zur eigenen Veränderung“ (Springer, 2019), [3] „Agile Spielzüge“ (Springer, 2020), [4] „Werkzeuge für agiles Arbeiten“ (Innovative Verwaltung, 2020) und aus den Blogartikeln [5] „Voll retro: Besser werden mit KI, UX und mehr Spaß“ (2020) und [6] „Eine bessere Welt?“ (2019), beide zu finden auf “New Coach on the Blog”.

… und hier sind noch die Links zu den oben genannten Organisationen: