Wolkenschein

„Keine Sorge,
bald scheint die Sonne wieder!”

Echt jetzt?

Bildquelle: Pixabay

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Der gut gemeinte Kalenderspruch mit der Sonne, die bald wieder scheinen wird, ist leider ein Trugschluss.

Trotz Streik

Ganz ehrlich: Sie scheint die ganze Zeit. Trotz aller Verhandlungen mit dem Betriebsrat über Arbeitszeiten, resultierende Proteste und Streiks hat die Sonne keine Pause. Nie. Deswegen wird sie auch schon in wenigen Milliarden Jahren den Geist aufgeben und verglühen. Das ist die schlechte Nachricht. Die guten News: Siehe oben, sie scheint, ununterbrochen. Lediglich wegen einiger grauer Wolken, durch eine ungünstige Beobachtungsposition oder aufgrund der Erdrotation können wir sie nicht permanent sehen. Hin und wieder fehlt uns der geeignete Standpunkt oder die richtige Perspektive, weil wir direkt vor einem Baum oder mitten im Schatten stehen. Manchmal dreht sich die Welt für uns zu schnell. Oder zu langsam. (Und zuweilen haben wir selbst auch einfach die Augen geschlossen, das kommt ja gelegentlich vor, beispielsweise nachts.) Trotzdem ist sie da. Und scheint.

Diese astronomische Klugscheißerei ist hier „metaphorisch beabsichtigt”. Wir schauen nicht immer hin. Wir nehmen nicht immer wahr, was vorhanden ist. Bei der Sonne lässt es sich recht schnell nachweisen: Ja, sie scheint. Immer. Wenn es für uns selbst, in schwierigen Zeiten mit sehr vielen düsteren Wolken und trüben Aussichten, nicht „sonnig” ist, so haben wir die Wahl: Wollen wir daran glauben, dass unsere „innere Sonne” auch dann scheint, wenn wir sie nicht sehen, nicht spüren? Wenn uns die Umstände ganz deutlich machen wollen, dass es stürmt, gewittert, (die Laune ver-) hagelt, blitzt und donnert? Und das für immer?

Vorübergehend beabsichtigtes Postkartenniveau

Weil wir oben bereits bei Kalendersprüchen und ähnlich „klugen” Weisheiten waren (die übrigens gelegentlich tatsächlich wahr sein können): „Man kann sich immer entscheiden, ob man daran glaubt, dass die innere Sonne scheint.” Das klingt jetzt nicht viel besser als auf einer nettgemeinten Postkarte. Und dennoch bin ich felsenfest davon überzeugt, dass hier weit mehr als nur ein Körnchen Wahrheit enthalten ist.

Natürlich fällt es schwer, sich in düsteren Momenten an etwas Leuchtendes und Helles zu erinnern. Selbstverständlich ist es überhaupt nicht leicht, sich an „die Sonne hinter den Wolken” zu erinnern, wenn um einen herum gerade alles richtig schlimm, scheußlich und durchweg düster ist. Und keineswegs soll das die Aufforderung sein, immerzu nur „eitel Sonnenschein” zu denken und – Schwupps! – ist die Welt schon wieder gut. Doch wenn man es gar nicht tut, wird’s nie wieder hell.

DIY

Gerne darf man sich dabei auf göttliche oder kosmische Mächte berufen. Wenn das hilft und wirkt: super. Generell ist Unterstützung von außen, beispielsweise durch Familie oder Freunde, gut und hilfreich. Doch wird es über kurz oder lang an einer Sache nicht vorbeigehen: Do it yourself.

Nur wenn man wirklich selbst daran glaubt, dass die Sonne – immer! – scheint, lassen sich graue Wolken, mentale Müdigkeit, schwere und schlimme Zeiten durchstehen. Dann muss man nicht warten, bis sie „wieder” scheint. Stattdessen fühlt man sie durch die Wolkenwand hindurch. Ganz egal, ob man sie sieht. Denn wir haben weit mehr als nur unsere Augen.

Falls das (noch) nicht gelingt, dann sind auch „Einflüsterungen von Dritten”, wirklich herzensgut gemeinte Ratschläge (wie dieser) oder Weisheiten aus Büchern, Kalendern, Postkarten, Insta, YouTube, Snapchat oder TikTok keine Wundermittel. Sie können Impulse sein, ganz sicher. Doch die Tür öffnet sich erst dann, wenn man selbst überzeugt ist, daran glaubt, dass die Sonne wirklich immer scheint.

Keine Sorge? Spielregeln!

Glaubenssätze sind eines meiner Lieblingsthemen. Um mit ihnen aufzuräumen, wenn sie nämlich zur einschränkenden Kategorie gehören. Im positiven Sinne finde ich sie richtig gut. Dann darf man sie auch Affirmationen nennen. Allein die Bandbreite der Übersetzungen hat es in sich: „Bejahung”, „Bestätigung” oder „Versicherung” (wirklich) gehören dazu. Und alle diese Begriffe haben ihre Berechtigung. Wenn man ein paar Spielregeln beachtet.

Hinter den Gedanken zum permanenten Sonnenschein wie auch hinsichtlich „positiver Glaubenssätze” (Affirmationen) steckt nicht die Aufforderung, einfach alles durch die wunderhübsche rosarote Brille zu betrachten. Mit vehementem „Wird schon gut gehen!” über eine fünfspurige Autobahn spazieren zu wollen? Keine so gute Idee. Sich (Achtung und Verzeihung: potenzielle Blasphemie) „irgendwie gottergeben” zurückzulehnen und sich darauf zu verlassen, dass „der da oben” schon alles richten wird? Nun ja, viel Erfolg. Ich selbst würde nicht darauf wetten. (Das gilt übrigens auch für einen inflationären Einsatz von Wu Wei, dem taoistischem Prinzip des „Handelns durch Nichthandeln”, das ich sehr mag, bei dem ich allerdings nicht zum Dauerbetrieb rate.) Sich ganz einfach nie wieder Sorgen machen? Stattdessen stets an die Sonne denken, die ja immer scheint? Das ist eine Frage der persönlichen Definition von „Sorge”. Etwas, das uns rund um die Uhr belastet, uns abends nicht einschlafen und morgens schon vor dem Wecker mit hohem Blutdruck aufwachen lässt? Nicht so gut. Oder ist es etwas, dem wir uns zu einem selbstgewählten Zeitpunkt mit vollem Bewusstsein, aktiv und entschlossen widmen wollen, um die Weichen für unsere eigene Zukunft zu stellen? Schon besser. Dann besteht weniger (keine) Gefahr von eben diesen Sorgen aufgefressen zu werden.

Nicht nicht

Zu den oben schon kurz angerissenen Spielregeln für Affirmationen gehört die Verwendung von Verneinungen. Dahinter steht unter anderem die Unfähigkeit unseres Un(ter)bewusstseins im Umgang mit dem Wörtchen „nicht”. Wir arbeiten im Unter- oder Hinterstübchen mit Bildern, ohne Worte. Ein „Nichtbild” gibt es – eben nicht. Das ist wie bei der Geschichte, bei der man nicht an einen rosa Elefanten (alternativ: nicht an den Eiffelturm) denken soll. Geht nicht. Gibt’s nicht. Funktioniert nicht.

Wenn wir „ich bin nicht traurig” denken, dann erkennt unser Unterbewusstsein nur das Wort „traurig”. Das „nicht” wird sozusagen ausgeblendet. Um wieder zum meteorologischen Ausgangsthema zu springen: Aus der Formulierung „von den grauen Wolken lasse ich mich nicht stören” bleiben bei uns dann lediglich „stören” und die grauen Wolken hängen – das wäre also nicht der gewünschte Effekt. Auch etwas wie „die Sonne scheint – selbst dann, wenn ich sie nicht sehe“ würde nur die halbe Miete sein.

Ebenso ist es ratsam, mit generalistischen Sätzen wie „ich kann alles schaffen, was ich will“ vorsichtig zu sein und vielleicht erstmal das eigene Wollen zum Gespräch zu bitten. („Sag mal, wirklich alles?”) In diesem Kontext darf man sich auch selbst erinnern, nicht mit ebenso selbstgebastelten Flügeln auf den Balkon oder das Hausdach zu steigen. (In den USA gibt es deswegen entsprechende Warnhinweise auf Red Bull-Dosen.)

Positives Wolkenschieben

Für die folgenden Absätze rund um Affirmationen erlaube ich mir, mich selbst zu zitieren:

„Eine positive Grundhaltung und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zur Veränderung sind hierbei hilfreich. Ebenfalls entscheidend ist darüber hinaus auch die Frage, ob Sie sich im Bereich Ihrer eigenen Selbstwirksamkeit bewegen. Liegt die Veränderung Ihres Denkens, und damit Ihres Verhaltens und Ihrer Emotionen, mindestens teilweise in Ihren eigenen Händen? Dann steigen die Chancen deutlich, dass eine solche Affirmation Erfolg bringt."

Das ist also sozusagen die Sonnenscheinwahrscheinlichkeit. (Und wie beschrieben ist sie ohnehin bei 100 Prozent. Wenn man daran glaubt.)

„Auch Affirmationen sind kein Schalter, der lediglich umgelegt werden muss. Vielmehr sollten sie als Training verstanden werden, bei dem wieder Ausdauer und Geduld gefragt sind. Unser Bewusstsein mag Veränderungen nun mal nicht sonderlich gern, es will überzeugt werden. Dazu gehört, dass wir kontinuierlich mit den Affirmationen arbeiten und die entsprechenden Sätze wieder und wieder aussprechen. Akzeptieren Sie aufkommende Zweifel, denn unser Ego lehnt Veränderungen häufig zunächst ab. „Du machst dir doch nur etwas vor“, könnte solch eine Reaktion als innerer Dialog sein. Oder: „Das ist doch alles albern.“ Akzeptieren Sie diese Reaktionen. Nehmen Sie sie wahr, ohne sie zu bewerten. Sie werden kommen, versprochen. Und genauso werden sie auch wieder verschwinden, wenn Sie geduldig weitermachen.”

Absolut richtig vermutet: Dieses Verschwinden lässt sich mental-meteorologisch mit den grauen Wolken vergleichen.

Affirmation kann übersetzt werden mit „selbstbejahender Glaubenssatz“. Das bedeutet für die praktische Umsetzung, dass

  • diese Aussage klar, einfach und verständlich formuliert ist,

  • der Satz in der Ich-Form beschrieben ist (weiterhin gilt, dass Sie nur sich selbst verändern können, nicht Ihren Partner oder Vorgesetzten; jedoch können Sie Ihre eigene Haltung diesen Personen gegenüber verändern),

  • er positiv formuliert ist, als frei von „nicht“, „niemals“, „kein“ oder ähnlichen Begriffen (im Bereich der Logik ist die Affirmation das Gegenteil einer Negation, dementsprechend zuversichtlich, positiv und bejahend möchte der Satz auch klingen),

  • Formulierungen wie „erlauben“, „ich darf“, „genießen“, „jeden Tag mehr und mehr“ oder „es ist gut für mich“ sehr hilfreich und willkommen sind und

  • Sie ein deutliches „Ja“ in sich spüren, wenn Sie den Satz laut aussprechen. 

Hier lohnt sich der Hinweis, dass nicht alle Menschen massiven Sonnenschein mögen, Sonnencreme durchaus eine Berechtigung hat und Wolken wirklich schön sein können. Daher lohnt es sich also, auf das eigene, innere „Ja” zu achten.

Beispiele für Affirmationen

  • „Ich nehme mir immer ausreichend Zeit für die wichtigen Menschen und Dinge in meinem Leben.“

  • „Ich bin in jedem Augenblick selbst verantwortlich und dankbar für die schönen Momente meines Lebens.“

  • „Ich bin stets gelassen und ruhig. Auf Probleme kann ich mit Zuversicht reagieren.“

  • „Ich erlaube mir, mit jedem Tag mehr und mehr darauf zu vertrauen, dass sich alles gut entwickeln wird.“

  • „Ich bin mit jedem Tag immer selbstbewusster und stolz auf die Dinge, die ich erreiche.“

  • „Ich kann mich so akzeptieren und respektieren, wie ich bin.“

  • „Ich genieße es, friedlich mit mir selbst und meinen Mitmenschen umzugehen.“

  • „Ich bin glücklich, dass ich dieses Leben habe.“

  • „Ich erlaube mir auf mein Denken zu achten und sehr bewusst positive und gesunde Gedanken zu wählen.“

  • „Ich kann mich über Herausforderungen freuen, die mir das Leben schenkt, und habe ausreichend Kraft, um diese zu meistern.“

  • „Ich vertraue darauf, dass mein Affirmationstraining gut für mich ist.“

  • „Ich genieße mein tägliches Affirmationstraining und freue mich jeden Tag darauf.“

Während des Schreibens dieses Beitrags hat sich der Berliner Winterhimmel wirklich sehr viel Mühe gegeben, alle nur denkbaren Schattierungen von Grau anzubieten. Die Sonne hat sich nicht blicken lassen – trotzdem bin ich ziemlich fest davon überzeugt, dass sie weiterhin existiert. Und scheint. Hinter all den Wolken.

„Impulse zur eigenen Veränderung” (2019, Springer)

„Impulse zur eigenen Veränderung” (2019, Springer)

Für weitere Tipps zum Umgang sowohl mit einschränkenden Glaubenssätzen als auch positiven Affirmationen kann ich mit sonnigem Gemüt und gutem Gewissen mein Buch „Impulse zur eigenen Veränderung” empfehlen, aus dem die oben zitierten Inhalte im Abschnitt „Positives Wolkenschieben” stammen. Darin gibt es beispielsweise Hinweise, wie Kaffeetassen, Kühlschränke, Bildschirmschoner oder das Handy dabei helfen.

 

… und falls gerade akuter Bedarf für akustischen Sonnenschein mit visueller Untermalung besteht:

Weitere Tipps für richtig sonnige Songs? Gerne her damit in den Kommentaren!